Im Gespräch mit der Sprecherin für Behindertenpolitik der Grünen - Corinna Rüffer
23. Nov 2022Seit 2013 ist Corinna Rüffer Sprecherin für Behindertenpolitik der Grünen. Dass sie diesen beruflichen Weg eingeschlagen hat lag für sie auf der Hand. Warum? Das erfahren Sie in diesem Artikel. Denn wir haben mit Corinna Rüffer über ihre Motivation, Ziele und Visionen gesprochen. Sie finden das Interview in gekürzter Form auch als Video auf YouTube.
Behindertenpolitik als Menschenrecht
„Das Thema Behindertenpolitik hat mich ein Leben lang begleitet. Als Kind war ich in einem inklusiven Kindergarten, ich hatte immer Freunde mit Beeinträchtigung, habe einen blinden Mitbewohner und ein Kind mit Trisomie 21. Im Studium habe ich mich dann zum ersten Mal auf einer theoretischen Ebene mit dem Thema Inklusion als Menschenrechtsfrage beschäftigt. Das Thema besteht eigentlich schon mein ganzes Leben, zwar unbeabsichtigt, aber dennoch schön“, so Corinna Rüffer.
Durch ihr Studium der Politikwissenschaften und Öffentliches Recht in Trier machte Corinna Rüffer ersten Erfahrungen in Sachen Hochschul- und Kommunalpolitik. 1999 wurde sie Sprecherin des Grünen-Kreisverbandes Trier. Eine Tätigkeit, die sie 10 Jahre ausübte. Es folgte eine weitere Zwischenstation beim Landesverband Rheinland-Pfalz. Seit Oktober 2013 gehört Corinna Rüffer dem Deutschen Bundestag an. Die Bearbeitung des Bereichs Behindertenpolitik ist dort ihre Aufgabe.
Das Bundesteilhabegesetz – kontinuierliche Weiterentwicklung
Ein Thema, dass im Zuge mit Behindertenpolitik fast immer fällt ist das Bundesteilhabegesetz. Dabei handelt es sich um ein Gesetzespaket, dass eigentlich bis 2023 in Kraft treten soll.
In unserem Blogartikel zum Thema BTHG erfahren Sie alles rund um das Thema Bundesteilhabegesetz:
„Eigentlich geht es ja beim Bundesteilhabegesetz darum, dass Menschen mit Behinderung ihr Leben selbstbestimmter führen können. Das Gesetz steckt aber was die Umsetzung angeht tatsächlich immer noch in den Kinderschuhen“, so Corinna Rüffer. Das Gesetz habe viel Potential, werde aber auf regionaler und kommunaler Ebene unterschiedlich ausgelegt. Es sei jetzt die Aufgabe der Politik, die einzelnen Aspekte zu evaluieren und auf einen Nenner zu bringen. Beim Bundesteilhabegesetz (BTHG) handle es sich in ihren Augen um eine Art Organismus, der kontinuierlich weiterentwickelt werden muss.
Das Ziel, die Umsetzung des BTHG bis Ende 2023 umzusetzen, sieht Corinna Rüffer daher als nicht realistisch an, was aber auch der Tatsache geschuldet ist, dass ein solches Gesetz sich in einem stetigen Wandel befinde.
Was muss in Sachen Inklusion und Teilhabe noch passieren?
„Inklusion ist ein Strukturprinzip. Wir müssen unsere Schulen, Kindergärten, Kommunen, Innenstädte, unsere Gemeinden so organisieren, dass alle Menschen in der Lage sind, auch teilzuhaben.“ Diese Tatsache beziehe sich auch auf das Thema Barrierefreiheit. Menschen mit Rollstuhl müsse es möglich gemacht werden, dass sie in ihre Lieblingskneipe kommen, beim Bäcker Brot kaufen können und vieles mehr. Es müsse in der Zukunft möglich sein, dass Kinder mit Beeinträchtigung auch an Regelschulen unterrichtet werden können. „Allein an den kontroversen Diskussionen zum Thema schulische Inklusion sieht man, wieviel Arbeit wir bei diesem Thema noch vor uns haben“, so Corinna Rüffer.
Menschen mit Behinderung im Bundestag
Vereinzelt gibt es natürlich auch im Bundestag Menschen mit Behinderung. Zum Beispiel die Abgeordnete Stephanie Aeffner. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales und ist in der Fraktion der Grünen zuständig u.a. für Bürgergeld, Barrierefreiheit und Sozialpolitik. Außerdem ist sie ehemalige Landesbehintertenbeauftragte. Frau Aeffner sitze im Rollstuhl und könne daher Fragen der Barrierefreiheit sozusagen aus erster Hand beleuchten. Dies zeige sich auch im Bundestag selbst. „Frau Aeffner muss beispielsweise eine Woche vor einer Sitzung, an der sie teilhaben möchte sagen, dass sie kommt. Nur so können alle brandschutztechnischen Anforderungen im Falle einer Evakuierung vorbereitet werden. So kann man ein freies Mandat natürlich nicht ausüben.“ Allein diese Tatsache zeige, wie groß der Handlungsbedarf in Sachen Barrierefreiheit selbst im Bundestag noch sei.
Frau Aeffner sei aber nicht die einzige Mitarbeitende mit Behinderung im Bundestag. Außerdem gäbe es noch einen Referenten zum Thema Behindertenpolitik bei den Grünen, der im Rollstuhl sitzt und auch bei der Union gäbe es einen Mitarbeiter im Rollstuhl. Bei den Linken arbeite ein Mann, der Blind ist. „Insgesamt muss aber schon sagen, wenn man den Bundestag als Querschnitt der Gesellschaft sieht, dass Menschen mit Behinderung im Bundestag deutlich unterrepräsentiert sind. Daran müssen wir dringend arbeiten.“
Menschen mit Behinderung müssen in die Gesellschaft integriert werden
„Wir sind in Deutschland ziemlich gut darin, Menschen in Sonderstrukturen zu verweisen. Das fängt schon bei den Kindern an. Kinder mit Beeinträchtigung gehen meistens auf Förderschulen, werden morgens mit Bussen abgeholt und nachmittags wieder heimgebracht.“ Außerdem, so Corinna Rüffer, sei das Thema Inklusion auch noch nicht bei vielen Sportvereinen angekommen. Ebenso verhält es sich auf dem ersten Arbeitsmarkt. Menschen mit Behinderung würden oft in Werkstätten arbeiten, seien dort nur unter sich. „Dass das Individuum eigentlich ein Interesse daran hat, in der Mitte der Gesellschaft teilzuhaben, das gerät so aus dem Blick.“ Aus diesem Grund würden sowohl bei den Menschen mit Behinderung als auch in der Gesellschaft Ängste entstehen, die dazu führen, dass Menschen mit Behinderung gesellschaftlich oft gar nicht stattfinden.
In Kontakt mit den Leuten vor Ort
Stets in Kontakt mit den Trägern wie der Lebenshilfe zu sein, das ist ihr tägliches Brot. „Es ist mir in der Tat unglaublich wichtig, dass ich nicht auf dieser Funktionärsebene kleben bleibe, sondern dass ich mit den Geschäftsführern und den Mitarbeitern zum Beispiel in einer Werkstatt spreche um zu wissen, wie es ihnen geht“. Nur so könnten bestimmte Prozesse gegebenenfalls auch geändert werden, damit sie letztendlich inklusiv seien.
Corinna Rüffer würde es befürworten, wenn die Werkstätten selbst sich an der Beantwortung der Frage, wie sie dazu beitragen können, dass das Recht auf Teilhabe bei der Arbeit auch realisiert wird, beteiligen würden. Es wäre hilfreich, wenn die bestehenden Strukturen, und das heißt insbesondere die Werkstätten, auch selbst überlegen würden, wie sie sich weiterentwickeln müssen, damit man gemeinsam etwas auf die Beine stellen könne. „Es stört mich sehr, dass mir viele Beschäftigte in Werkstätten erzählen, dass sie einerseits unterfordert seien aber gleichzeitig Angst um ihre Existenz haben, wenn sie den Job verlieren würden. Da möchte ich gerne Sicherheit vermitteln. Es geht um ein Mehr an Selbstbestimmung, es geht um ein Mehr an vielfältigem Angebot und es geht um ein Mehr an politischen Bemühungen auch inklusive Arbeit in dieser Gesellschaft zu ermöglichen“, so Corinna Rüffer.
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